glücklich, nicht glücklich, glücklich, nicht glücklich,…

Gedankenausbruch: Ich habe mich in einen Gedanken verliebt:
glücklich, nicht glücklich, glücklich, nicht glücklich,…
Sortieren hat auf mich viele beruhigende Wirkungen:
Ich beschäftige mich mal wieder mit den Dingen, ich sortiere sie nach wichtig und unwichtig, ich räume sie auf, ich schmeiße manchmal etwas weg, ich sortiere nach Farben, ich sortiere nach Autoren, ich sortiere nach Größe oder danach wie sehr ich einen Gegenstand mag. Ich sortiere von rechts nach links und wieder zurück. Ich sortiere bis man die Tischplatte wieder sehen kann.
Ich sortiere in der Nacht. Ich sortiere mit Musik.
Aber alles in allem bin ich nie ein sehr ordentlicher Mensch gewesen.
Bis ich gestern einen Gedanken verfolgte und ihn in mein großes „Ich-sortiere-meine- ganzen-Karten-und-Briefe-der-20-Jahre-meines-Lebens-aus-Aktion“ integrierte und feststellen musste das es wahnsinnig gut so funktionierte. Der Gedanke war so simpel wie die meisten wichtigen Gedanken simpel sind. Ich stellte mir unentwegt eine Frage:
Macht diese Karte mich wirklich glücklich?
Und danach sortierte ich. Das Ergebnis ist erstaunlich. Ich habe sehr viel mehr weggeworfen als ich  wahrscheinlich ohne diese Frage getan hätte und habe einen, auf das „Glücklichste“ und Wichtigste komprimierten Stapel, zurück behalten. Das Schöne an dem Gedanken an den Stapel in meiner Schachtel im Schrank ist jetzt, dass ich weiß, es sind nur die schönsten und persönlichsten Karten und Briefe dabei die ich je erhalten habe. Der ganze Rest der, der mir nie richtig wichtig oder gar schön war, ist weg.
Ich bin erleichtert!
Natürlich ist die Frage nie so simpel zu beantworten wie es ist sie zu stellen.
Aber wenn man tief in sich hinein hört, kann man die Antwort doch abwägen und sich für oder gegen die Karte entscheiden. Das darf auch unterschiedliche Gründe haben.
Ich habe Karten behalten weil sie von einem Menschen geschrieben wurden den ich sehr lieb habe, es war also die Bedeutung die mich glücklich gemacht hat.
Ich habe Karten behalten weil sie sehr besonders schön waren. Ich habe auch Briefe behalten weil sie aus einer schönen Zeit stammen, aber dann habe ich auch dort zwischen glücklich machend und egal unterschieden.
Und was jetzt? Jetzt weiß ich, wie sortieren am besten für mich funktioniert. Jetzt kann ich anfangen größere „Sortier Projekte“ zu starten mit dem sicheren Wissen am Ende werde ich leichter sein. Ich werde mich leichter fühlen, das Zimmer sieht vielleicht erlei-chterter aus und wenn ich mal umziehen will, muss ich nicht alles auf einmal sortieren.
Und ich muss nicht so schwer an Erinnerungen tragen.

 

Papier zu Asche

Als der Himmel sich blassrosa zu färben begann, lief ich die schmalen Wege durch die Wiesen und Felder zurück nach Hause.
Ich wusste nun ganz genau, was ich wollte. Ich war erlöst. Ich, die die ganze Zeit grübelte, den Kopf in den Händen oder unruhig im Schlaf auf dem Kissen drehte, war frei.
Frei von Vergangenem, frei von Schuld, frei von Wut. Ich war einfach nur glücklich einen entscheidenden Gedankenschritt weiter zu sein. Ich zog den Brief aus dem Umschlag und suchte in meiner Jackentasche nach dem Feuerzeug. Erstaunlicherweise hatte es noch funktioniert, als ich es eben aus der zerbröckelten Rinde der alten Buche am Fluss gezogen hatte. Als ich mit dem Daumen das kleine Rädchen in Bewegung setzte und die helle Flamme emporzüngelte und wie auf Befehl das Blattpapier fand und hastig verschlang, wurde ich von meiner alten Fröhlichkeit angestupst.
In meinen Händen blieb nur ein kleiner Fetzen zurück. Es war das Stück Papier, das dem Brief beigelegt worden war. Es war der kleine, zusammengefaltete Zettel, den ich vor einiger Zeit geschrieben hatte.
Der Beweis, dass ich mit meiner Entscheidung vollkommen richtig gelegen hatte…

Das Tanzpaar

Ein flauschiger Pappelsamen treibt, von einem Windstoß getragen, über den Platz.
Wie ein Kind in einem weißen Kleid, mal schnell, mal stolpernd.
Der Tanzpartner ist ein Stück Papier, eine Ecke mit weißer abgerissener Kante
und rot – blauem Farbdruck.
Sie drehen sich umeinander und strecken vorsichtig, wie in Zeitlupe
ihre Arme dem Anderen entgegen.
Doch da ist kein Lufthauch mehr. Die Welt steht still.
Sie landen auf dem Boden und liegen da und warten,
warten darauf, dass etwas passiert, dass der Wind sie wieder trägt.
Plötzlich, ein Windhauch und wie auf Kommando erhebt sich das kleine Paar
wieder in die Luft und beginnt zu fliegen – zu tanzen,
ganz ohne Musik…
Sie drehen weiter Kreise und Pirouetten.
Wie verzaubert wirken sie.
Wie sich im Traum zwei Wesen begegnen.
So gegensätzlich und doch so ähnlich.
Der Pappelsamen ist weich und weiß. Die Papierecke kantig und bunt.
Aber fliegen und tanzen, das können sie beide.
Wie verzaubert wirken sie.

Die Verstehenden

Leicht ansteigende Hügel mit fast quadratisch von kleinen Erdwallen abgegrenzte Felder – eine karge Landschaft mit wenigen Bäumen und ab und an ein Stück Fichtenwald es ist als sei hier alles unberührt – nur Stille oder zumindest nichts was man Unordnung nennen könnte
Ein Stück den Hügel hinauf steht ein Mann er trägt einen schwarzen Mantel und Gummistiefel dazu einen Regenschirm seine Silhouette zeichnet sich gegen die Sonne ab – es liegt etwas Feierliches in seiner Haltung wie er so bewegungslos dasteht und in die Richtung der geballten Wolkenfront schaut hinter der die Sonne für einen kurzen Augenblick hindurchzubrechen beginnt wie durch Nebelschwaden schiebt sie langsam ihre langen Strahlen durch die nassen Federkissen und ergießt ihre Wärme über diese öde Gegend
Und da ist noch Jemand – ist es ein Mädchen das da hinten steht jetzt kniet sie nieder und streicht mit beiden Händen über die Stoppeln des abgemähten Kornfeldes sie hebt etwas auf – einen Stein vielleicht schiebt ihre Mütze zurück in den Nacken und beginnt zu rennen sie rennt den Hügel hinunter ohne nach links oder nach rechts zu sehen und ohne zu stolpern – ganz als würde sie es jeden Tag so machen
Aber der Mann bewegt sich nicht er bleibt wo er war und dreht nicht einmal den Kopf als würde er sie gar nicht sehen
Auch ich gehe in die Knie streiche mit den Handflächen über die abgemähten Stoppeln meine Fingerspitzen können die Splitter an den rauen, ausgetrockneten Schnittstellen spüren
Und in mir beginnt etwas zu strahlen ich fühle mich besser ich fühle mich verstanden und ich weiß dass es den anderen beiden auch so geht genauso glücklich genauso verzaubert von der Vorstellung ähnlich zu sein und auf seine Art anders…

vielleicht wollte ich nie zum meer…

ich will, dass jetzt sofort die Zeit stehen bleibt! nicht weil der Moment so schön ist, sondern weil es so viel gibt, über das nachzudenken nicht mehr länger aufgeschoben werden kann. ich will, dass die Uhr an der Wand, der Zeiger meines Weckers und die Ziffern meines Handys innehalten und sich nicht mehr bewegen. dass drei Stunden länger Nacht bleibt und ich denken kann. über alles. ich will grüblerisch dasitzen und durchs regennasse Fenster starren. ich habe alles abzuwiegen, alles was wichtig und unwichtig war, muss neu sortiert werden. vielleicht muss die ein oder andere Priorität verschoben werden… vielleicht ist alles was ich in den letzten Tagen, Wochen, Monaten gemacht habe, in die total falsche Richtung gelaufen. vielleicht bin ich auf dem Weg, zum Meer zwar über den Deich gegangen, nur war ich vorher schon auf der richtigen Seite und bin jetzt auch noch weiter ins Landesinnere hineingegangen. vielleicht war ich blind und verträumt, habe die Wiesen und Felder nicht bemerkt, habe mich nur nach anderen Dingen umgesehen und mich ablenken lassen. ein Reh oder eine Möve vielleicht.
oder aber, ich bin auf dem direkten Weg – dem Richtigen. auf dem Weg den ich immer schon gehen wollte. vielleicht wollte ich nie zum Meer…

Eine blaue Tasse Tee

Ich fühle mich wie in einer Wäschetrommel, wie hin und hergeschleudert.
Zeitdruck, Gedankendruck, Angst, Stress, unentschlossen und unsicher…
Tick, Tack, immer weiter laufend, gehend, rennend, dabei schwer atmend der Zeit hinter her.
Die Tage verschwimmen, keiner weiß wohin und wann, es gibt nur wenige, die ihr Ziel kennen.
Ich kenne meins nicht. Welches auch? Ist es wichtig zu wissen, wo man hin will?
Reicht es nicht zu leben, einfach so?
Einfach: tick, tack, die Zeit verstreichen zu lassen?
Den fusseligen Mund mit kaltem Wasser zum Weiterreden füllen und jeden Tag die Augen aufschlagen weil… das so muss.
Die Wimpern falten den Blick auf und blinzelnd schaue ich mir den bedeckten Tag an.
Meine Hände greifen nach dem Fenster und ein Windhauch lässt die Gardinen aufatmen.
Tick, tack, die Treppe knarrt, der Wasserkocher sprudelt und mit leisem Dampf ergießt sich Tee in eine blaue Tasse. Ein Tag zum Wohlfühlen. Ein Tag, der nicht hetzt und auf dem müden Rücken lastet. Ein Tag zum Lesen, zum Fensteröffnen und Ein und Ausatmen.
Ein Tag für ein Lächeln und eine blaue Tasse Tee.
Tick, tack, alle Uhren zeigen das gleiche endlose Gesicht der Zeiteinteilung. Sie kümmern sich weder um uns noch um die Vergangenheit. Tapsend, wie ein junges Tier, ziehen sich die Minuten hin. Niemals würde irgendjemand auf dich warten. Dafür hängt unsere Zeit zu sehr an anderen. Wir sind durch unsere Termine miteinander verbunden. Auch wenn wir uns nicht kennen, oder zu weit voneinander weg sind, wir treffen uns nur dann, wenn die Zeiten vieler Menschen es uns erlauben.
Ein Motor brummt auf, Gummistiefel schlurfen vorbei, Hund und Herrchen ziehen an einer Leine, Eicheln fallen, Sonnenstrahlen sind Lügner, Postkartenständer drehen sich quietschend um sich selbst.
Ein Tag, an dem das Bett der einzig richtige Platz ist, flauschige Decken, ein Teelicht auf dem Regalbrett, eine schnurrende Katze auf dem Schoß. Ein Tag zum Lesen, zum Fensteröffnen und Ein und Ausatmen. Ein Tag für ein Lächeln und eine blaue Tasse Tee.

Die Stille von Florenz

Krümeliger Putz blättert von den Fassaden der historisch alten Gebäude einer sogenannten italienischen Künstlerstadt. Ihre grünen Fensterläden sind geöffnet, um den weichen Lufthauch aus den Straßen aufzufangen. Steine mit riffeliger Oberfläche und zu ausgetretenen Stufen, vor langer Zeit aufeinander gelegt, atmen die gespeicherte Kühle der Nacht aus, während die Sonne beständig aus einem kristallklaren Himmel den Hauswänden gegenüber ihre Wärme schenkt.
Mopeds, kleine Autos und Lieferwagen holpern über Kopfsteinpflaster und Straßenlöcher hinweg-zu Hintereingängen kleiner Eckcafés oder in Richtung der übervollen Kreisverkehre, verstopft von Touristenbussen und sich mühsam schlängelnder Radfahrer und Bummler.
Die Zeit scheint nicht tickend, sondern pulsierend zu vergehen. Im Schatten einer uralten Kirche trägt sie andere Züge. Ihr Gesicht ist rau und abgenutzt, aber ihre Seele ist wach und klar…